Kann man Stille lernen?

Interview mit Ina Eschler, 15.10.2024


In diesem Jahr ist Ina zusammen mit Ralf Sturm bei der alljährlichen „Stille-Woche“ (28.10.-01.11.2024) im Rosenwaldhof an der Havel - und für Menschen, die „nur" ein Wochenende Zeit haben, veranstaltet sie erstmals das "Stille-Wochenende“ (16./17.11.2024) im nivata Studio in Berlin-Zehlendorf. Das ist ganz schön viel Stille! Aus unserer Erfahrung mit Yogapraktizierenden wissen wir, dass Stille etwas ist, das viele Menschen sehr anspricht und gleichzeitig manchen auch Angst machen kann. Ein ganz schönes Spannungsfeld. Wie schön, dass wir Ina heute dazu befragen können, wie sie Menschen Mut macht, sich auf den Weg der Meditation zu machen und wie sie selbst diesen Weg gefunden hat ...

Katharina: Es gibt die legendäre Zahl, dass etwa 80 Prozent der Menschen, die mit Meditation beginnen, wieder aufhören. Kannst Du Dir vorstellen, warum?

Ina: Viele, die mit Meditation beginnen, haben unrealistische Ziele und Vorstellungen eines zu erreichenden meditativen Zustands – im Sinne von „Ich muss beim Meditieren mit dem Denken aufhören und das gelingt nicht“. Auch bestehen Unklarheiten, welche Technik zu wählen ist. Und wenn das nicht schon genug Hürden wären, gibt es einige innere Widerstände, die sich zeigen können, wenn es still wird; sei es Unruhe, Zweifel an der Technik, Müdigkeit oder auch der Wunsch, etwas ganz anderes zu tun. All diese Hürden und Widerstände können eine unglaubliche Kraft haben und zum Aufhören/Abrechen animieren.

Katharina: Glaubst du, dass Meditation/Stille grundsätzlich für jede*n eine gute Möglichkeit ist, mit Stress umzugehen? Oder glaubst du, dass es für manche Menschen kein guter Weg sein kann?

Ina: Reflexartig könnte man in der heutigen Zeit meinen „Bitte mehr Stille für alle!“ - aber es gibt Lebenssituationen und auch Krankheiten, bei denen von Meditation und stark introvertierten Yoga-Stilen abzuraten ist, so bei akuten psychischen Herausforderungen wie beispielsweise Depressionen, Psychosen oder Traumata es sein können (aber nicht müssen!). Auch wenn Achtsamkeitsübungen wie das MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) therapeutisch eingesetzt werden, kann es in Einzelfällen Kontraindikationen geben.

Katharina: Wie gehst du vor, wenn du den Menschen in deinen Yogakursen Meditation näher bringen möchtest? Gibt es erfahrungsgemäß bestimmte Techniken, die bei Anfänger*innen gut ankommen?

Ina: In den Yogakursen habe ich die Erfahrung gemacht, dass angeleitete Meditationen mit viel Interesse aufgenommen und auch gewünscht werden. Für Anfänger*innen startet der Weg in die Meditation beim bewussten Wahrnehmen des Körpers und des Atems. Mir ist es sehr wichtig, die Prinzipien der Achtsamkeit immer wieder einzuführen – wir üben wertneutral, mit der Haltung einer Beobachterin/eines Beobachters, mit Neugierde und Offenheit. Das, was gut ankommt, ist sehr individuell. Wer einen Zugang zu inneren Bildwelten hat, mag vielleicht Meditationen mit Visualisierungen. Wen energetische Themen interessieren, mag eventuell Chakren-Meditationen. In Yogakursen leite ich unterschiedliche Techniken an, um auch Begeisterung für die Meditation zu wecken und viele Menschen anzusprechen.

Katharina: Wann hast du angefangen zu meditieren, und wenn es nicht zu persönlich ist, warum?

Ina: Ich übe Yoga seit Ende der 1990er Jahre. Über die verschiedenen Lebensstationen hat sich die Praxis immer in besonders schwierigen und auch traurigen Zeiten intensiviert, um irgendwann im Alltag zu landen. Was mich dabei persönlich am meisten bewegt und motiviert ist, dass ich durch die Meditation eine tiefere Verbindung zu mir selbst finde, was mich Denkmuster und Verhaltensweisen besser verstehen lässt.

Katharina: Ist Stille deiner Meinung nach etwas, das man nur durch Meditation erreichen kann oder gibt es auch andere Wege? Und wenn ja, glaubst du, dass diese anderen Wege Elemente der Meditation enthalten, ohne dass man es auf den ersten Blick erkennt?

Ina: Absolut! Jede*r kennt Momente der Stille, die abseits der klassischen Form von Meditation passieren und uns in den gegenwärtigen Augenblick eintauchen lassen. Momente, voller Präsenz im Hier und Jetzt. Ich wohne auf dem Land, wo ich häufig einfach draußen sitze, schaue, staune, nichts tue. Die Erfahrung zu machen „einfach zu sein“, ist sehr befreiend. An diesem Punkt braucht es keinen weiteren Input, keine Pläne, kein Machen o.ä. Gegenwärtig zu werden fällt mir persönlich in der Natur und im Zusammensein mit Tieren besonders leicht. Stille kann man sich natürlich auch ganz bewusst in den Alltag einladen, beispielsweise indem man Mouna (Schweigen) übt. Und auch das kann verschiedene Formen annehmen, sei es still den Tag zu beginnen oder zu beenden, in Stille zu essen oder nur das zu sprechen, was wirklich nötig ist, also genau zu unterscheiden. Im Alltag lassen sich immer wieder bewusste Momente einbauen, in denen wir das unterbrechen, was wir gerade tun, innehalten, einen Atemzug nehmen, den Körper oder die Emotionen beobachten, um Klarheit zu gewinnen. Stille ist daher für mich sehr bunt und vielfältig.

Katharina: Was würdest du jemandem sagen, der mit folgendem Anliegen zu dir kommt: „Ich möchte mit Meditation beginnen. Worauf muss ich achten?“

Ina: Keep it simple! Interessiere dich! Übe wertneutral! Und damit meine ich, sich Zeit zu nehmen und für das zu interessieren, was in einem lebendig ist. Das muss innerlich weder still noch schön sein. Es geht darum, eine wertneutrale Haltung einzuüben und Akzeptanz zu entwickeln. Das bedeutet zu umarmen, was immer in uns auftaucht. Das Üben muss gar nicht lang sein, auch fünf Minuten reichen zu Beginn. Regelmäßigkeit steht dabei vor zeitlicher Dauer. Es kann helfen den Körper mit ein paar Bewegungen vorzubereiten, sodass der Sitz leichter fällt. Aber eine Meditation braucht keinen „Yoga-Sitz“, ein Stuhl tut es auch. Ich empfehle anfangs eine Meditationstechnik zu wählen, die einem liegt – ist es eher das Beobachten des Atems oder eine Konzentrationstechnik über ein Mantra oder auch eine geführte Meditation. Ja, und nicht zuletzt braucht es Disziplin.

Katharina: Hast du selbst eine Lieblingsmeditation? Wenn ja, kannst du sie uns nennen und vielleicht sogar beschreiben?

Ina: Eine Meditation, die ich gerne übe, kommt aus dem Yin Yoga. Diese Yin-Meditation ist recht frei und offen. Anstatt sich auf etwas zu konzentrieren, geht es darum bestimmte Qualitäten zu kultivieren. Die Meditation beginnt damit, dass ein Landeplatz der Aufmerksamkeit und eine Intention festgelegt werden. Ein Landeplatz der Aufmerksamkeit kann der Atem, ein Körperteil oder ein Sinneseindruck sein. Eine Intention beschreibt eine Qualität mit der wir dem inneren Erleben während der Meditation begegnen wollen, z.B. Offenheit, Neugier, Toleranz, Vertrauen, Akzeptanz o.ä. Idee der Yin-Meditation ist es nicht, die Aufmerksamkeit zu halten. Stattdessen ist dem Geist erlaubt zu wandern. Zu Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen, Körperempfindungen oder zum Atem. Alles was sich zeigt, darf sein und wird begegnet in der Haltung der gewählten Qualität. Sobald sich der Geist verstrickt wird die Aufmerksamkeit zurück zum Landeplatz geführt, um von dort aus erneut auf Wanderschaft zu gehen. Die Meditation schließt mit einer Reflexion des Erlebten: Woran kann ich mich erinnern, was war lebendig in mir? 

Katharina: Weil wir uns als Kolleg*innen gut kennen, traue ich mich einfach mal Folgendes festzustellen: Du wirkst als Mensch sehr geerdet! Glaubst du, dass eher ruhige Menschen leichter meditieren können oder haben alle Menschen die gleichen Hürden zu überwinden?

Ina: Da muss ich schmunzeln und denke direkt an mein Auto, das diese geerdete Bodenhaftung oftmals mokiert und zu mir spricht „Müdigkeit erkannt!“. Vielleicht kann ich gut ruhig sitzen, aber meine Hürde Nummer 1 ist gar nicht so weit entfernt von dieser Erdung; es ist eine gewisse Trägheit, die mir die Disziplin für die regelmäßige Praxis erschwert. Andere verspüren Unruhe, Langeweile, Zweifel. Und daher bin ich fest davon überzeugt, dass wir alle in einem Boot sitzen und jede*r mit der ein oder anderen Hürde in der Meditationspraxis zu kämpfen hat. Die eigenen Hürden zu kennen und im jeweiligen Moment zu erkennen ist viel wert. Ich versuche meiner Trägheit Humor entgegenzusetzen. Ob das immer klappt? Nein, aber ich übe.

Katharina: Das Stille-Wochenende war Deine Idee, nachdem Du die Stille-Woche bereits mit geleitet hast. Wie kam es dazu und was möchtest Du damit „erreichen“?

Ina: Das Stille-Wochenende lädt an zwei Tagen alle ein, die Lust haben sich der Achtsamkeitspraxis zu widmen und Techniken zu erfahren, die in offenen Yoga-Klassen weniger Raum haben. Es geht darum, sich bewusst der inneren Stille zuzuwenden und Ruhe einkehren zu lassen ohne direkt dem Alltag für eine ganze Woche den Rücken zu kehren. Was passiert, wenn es still wird? Kann auch ich dann stiller werden? Und was zeigt sich in der Stille? Genau für diese Erfahrung von Stille möchte ich begeistern.

Katharina: Welche 3 Schätze hält die Meditation deiner Meinung nach für die Menschen bereit?

Ina: Die Meditation schenkt eine ganze Schatzkiste. Um drei Schätze zu nennen: 1. Meditation kultiviert Mitgefühl und Selbstmitgefühl, was zu einem liebevolleren Umgang mit sich und anderen führt. 2. Meditation hilft nachweislich beim Umgang mit Stress, indem sie positiv auf das Nervensystem, das Herz-Kreislauf-System und auf die Psyche wirkt. 3. Und Meditation lehrt Achtsamkeit, das Wahrnehmen des gegenwärtigen Moments, was eine bewusstere Lebensweise schenken kann.

Katharina: Was sind die 3 häufigsten Ausreden, warum Menschen Meditation meiden?

Ina: Ich kann nicht aufhören zu denken. Ich bin dafür zu unruhig. Ich kann nicht so lange sitzen. Aber ich würde mich freuen, wenn sich im Interview auf diese Sätze die ein oder andere Replik finden ließe.  

Vielen Dank für das schöne Gespräch! Wer Ina beim Yoga erleben möchte, hat immer am Wochenanfang (Montags 8.00 Uhr) und am Wochenende (freitags 17.30 Uhr) in der nivata Yogaschule Zehlendorf die Gelegenheit dazu. Für die Stille-Woche ist nur noch ein Platz frei! Wer also noch spontan dabei sein möchte...

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