Unterrichtssprache "Ich, du, er, sie, xier" - Gender

08. Dezember 2021 Annett Schpeniuk


„Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken.“ (Immanuel Kant)

Yogaunterricht und die Gespräche im Anschluss funktionieren zum größten Teil durch Zuhören und Umsetzen von Gesagtem. Die meisten neuen Teilnehmenden entscheiden nach spätestens einer Minute, ob sie einer Stimme und Sprache weiterhin Aufmerksamkeit schenken. Es lohnt sich also die Qualität der eigenen Sprache auszubauen.

Oft habe ich beim Unterrichten das Gefühl, dass ich einen Monolog halte. Doch dieser Monolog ist eigentlich nur eine andere Form des Dialoges mit den vor mir Praktizierenden.

Direkte Ansprache: du; ihr; wir; jeder (Mensch); jede (Person), alle … was denn nun?

Am Beginn der Yogastunde bringe ich ein „du“ fast nie über die Lippen. Ich richte das Gesagte an die Gruppe und ein „ihr“ fühlt sich passend an.

Im weiteren Verlauf der Klasse wechsle ich zum „du“, wenn ich vorhabe, dass die Haltungen erspürt werden und sich alle für sich über das Erspüren besser kennenlernen. Hier erscheint mir das „du“ angebrachter, da ich möchte, dass sich alle direkt angesprochen fühlen.

Manchmal verwende ich das „wir“, allerdings nur wenn ich mitmache. Ich habe festgestellt, dass ich als Schülerin sehr empfindlich reagiere, wenn von vorne ein „wir“ ertönt, aber klar ist, dass nur die Übenden die Asana ausführen. Prompt fühle ich mich nicht mehr ernstgenommen.

In unseren nivata Klassen geben wir Motivationsimpulse, damit zuhause selbständig weitergeübt werden kann. Die Vermittelnden praktizieren nicht mit und übergeben vor allem die dynamischen Mini-Sequenzen an den individuellen Atemrhythmus der Lernenden. Früher sagte ich dann gerne: „Jeder übt jetzt 3 Runden in seinem eigenen Rhythmus“ Damit meinte ich „jeder" (Mensch), was nicht unbedingt alle so verstanden. Auf "jede" (Person) wollte ich nicht wechseln. So habe ich mich auf „alle“ eingependelt.

Die Sache mit der Diversität

Wer will es nicht: Alle Geschlechter auf respektvolle Art und Weise ansprechen und für Sichtbarkeit sorgen?

Spiegelt sich unser Wunsch nach Diversität in gendersensibler Unterrichtssprache wider oder grenzen wir Menschen aufgrund unserer An-Sprache aus?

Wir leben im ersten Zeitalter, das zugibt, nicht genau zu wissen was „der Mann“ oder „die Frau“ ist. Immerhin sind wir schon so weit, in biologisches und sozial kulturelles Geschlecht (gender) zu differenzieren. Soziale Geschlechterverhältnisse werden nicht durch die Biologie bestimmt. Die neuen Geschlechterrollen sind mit ökonomischen Verhältnissen, veränderten Vorstellungen in Bezug auf Männlichkeit und Weiblichkeit wie auch der grundsätzlichen Anzweiflung einer Geschlechterpolarität verknüpft.  Die Kunst hat schon lange mit dem traditionellen Geschlechterverständnis gebrochen. Mittlerweile dürfen Frauen nicht nur Kanzlerin werden, sondern auch bleiben. Frau Merkel hat sich durch ihre Weiblichkeit in kein Genderkorsett zwingen lassen, obwohl Donald Trump, George W. Bush und Vladimir Putin es immer wieder öffentlich versucht haben. Doch mehr und mehr Menschen wollen sich nicht entscheiden zwischen männlich und weiblich. Sie sind nonbinär. Binarität und Polarität sind Themen, die auch Yoga betreffen. In der Philosophie bezeichnet Polarität einen Ausdruck sich gegenseitig bedingender Größen. Hierzu zählen im Yoga Ida (passiv/weiblich) und Pingala (aktiv/männlich). Gemeint sind energetische Felder, die in Körperempfindungen spürbar sind und nicht das biologische Geschlecht. Im Duden wird die deutsche Sprache gerechter in Bezug auf männliche und weibliche Nomen, doch was ist mit den trans – Menschen?

In den Yogaklassen bietet sich die direkte Ansprache an. (siehe oben). „An alle Damen“; "Hej Ladies" oder „ … und jetzt mal an alle Männer“ sind jedenfalls völlig fehl am Platze.

Verallgemeinernde Aussagen über vermeintlich binäres Geschlechterverhalten, wie: „Frauen halten im Hüftbereich oft Emotionen fest.“, oder „Männer sind oft steif in den Leisten.“, vermeidet ihr lieber.

Statt über seine Schüler und Schülerinnen zu reden, empfehlen wir die genderneutralen und schöneren Varianten wie: Teilnehmenden, Lernenden, Praktizierenden, Übenden, Lehrenden oder Vermittelnden.

Kommen neue Interessierte in deine Klasse, scheu dich nicht, sie nach ihrem Pronomen zu fragen.  In Zoom Meetings hat es sich durchgesetzt, dass häufig die Pronomen in Klammern geschrieben werden. (Beispiele: Laura (sie), Luka (xier), Firat (er), Sascha (x)). Du kannst andere durch deinen Eintrag ermuntern, es ebenso einzufügen.
Hier findet ihr ein Lexikon dazu.

Denn Geschlecht war und ist nach wie vor eine wichtige Ordnungskategorie, die Hierarchien erzeugt, an deren Aufbrechen wir aktiv mitwirken können. Ich glaube fest, dass gesellschaftliche Strukturen wandelbar sind. Fangen wir doch einfach auf der Yogamatte damit an und erweitern unsere Schablone im Kopf.

Tipp

  • wenn du dir in deiner spontanen Ansprache nicht sicher bist, dann formuliere zuhause Sätze vor und lerne sie erstmal auswendig. Je öfter du sie "aufgesagt" hast, um so mehr werden sie zu deiner Sprache.

Vielen Dank an Berti Schlüter für den Austausch.