"Mit allen Sinnen leben"

14. Juni 2022 Annett Schpeniuk


"Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben zu geben." (Alexis Carrel)

 

Kleine Momente des Genusses haben eine große Wirkung

Viele denken selbst in den Momenten des Genusses an ihre Pflichten und fragen sich, ob sie überhaupt genießen dürfen, wenn diese noch nicht erledigt sind.

Auf der anderen Seite wird vermehrt über „freiwilligen Verzicht“ auf vielen Ebenen unseres Lebens geredet (Fleisch, Zucker, Alkohol, Kohlenhydrate, Fett, Fliegen,…). Wird der konsequente Verzicht zum neuen Genuss?

Glaubt man jedoch den Medien, gewinnen Sinnesfreuden immer mehr an Bedeutung. Die Werbung lädt zum Konsumrausch bzw. vermarktet vor allem Frauen als Objekt der Begierde um ein Lebensgefühl zu vermitteln bzw. den Hunger der Sinne zu stillen.

Genießen ist also gar nicht so einfach. Das Bad im Kerzenschein oder die berühmte Tasse Tee reichen da wohl auf Dauer nicht aus.

Meistens haben wir das Gefühl, dass die Umstände unser Leben bestimmen. Wir erwarten immer irgendetwas: den Karrieresprung, die große Liebe oder dauernde Selbstverbesserung. Doch was ist unser tiefster Wunsch? Wie können wir uns wirklich lebendig fühlen, das Leben genießen und in Leichtigkeit sein?

Unsere Sinne sind die Tore zu unserer Genussfähigkeit. Über sie erfahren wir unsere Umwelt und uns selbst.

Als Baby erfahren wir die Welt über Berührungen. Gewollte menschliche Berührungen führen nicht nur in ein Genusserlebnis, sondern auch zur Ausschüttung von Wohlfühlhormonen, was neben der Senkung des Blutdrucks auch unsere Bindungsfähigkeit stärkt und Depressionen lindert.  

Genauso führt auch Selbstberührung nachweislich zur Stressminderung. Sämtliche Mudras (Handgesten) sind eine Form der Selbstberührung. Besonders „berührend“ erlebe ich Anjali Mudra. Die Ausführung ist einfach, aber sehr wirkungsvoll: die Handflächen treffen sich ungefähr auf Höhe des Herzraumes und die Daumen liegen am Brustbein. Kommen die Hände zur Ruhe und du berührst dich selbst, wird der Geist unmittelbar ruhiger und ein Gefühl von Verbundenheit entsteht. Probiere es gleich mal aus!

Wer hört, muss fühlen. Bereits im Mutterleib ist unser Hörsinn 24 Stunden auf Empfang. Musik stimmt uns sanfter, Stimmen können beruhigen, die Ohren essen sogar genussvoll mit, wenn es knusprig knackt im Mund. Ein besonderes Hörerlebnis kann einen schönen und intensiven Moment bewirken.

Im Yoga nutzen wir unsere Stimme, Klangschalen bzw. den Klang der Stille, um genussvolle Momente zu kreieren und gleichzeitig Stress abzubauen. Der Klang überträgt sich als Vibration auf den Körper; Stress wird abgebaut und die Achtsamkeit gefördert.

Mit unserem Geruchssinn haben wir eine unmittelbare Genussmöglichkeit. Beim Sehen, Hören oder Fühlen müssen die Reize erst durch das Gehirn. Düfte wirken sofort und emotional. Angenehme Düfte lassen uns tief ein- und ausatmen und schnell in schöne Erinnerungen abtauchen. Düfte steuern unsere Sexualität und die Entscheidung zum Wohlfühlen und wen wir anziehend finden.

Unser Geschmackssinn ist eher schwach ausgeprägt, doch im Zusammenspiel mit den anderen Sinnen, kann er ein großes Spektrum an Genüssen erwecken. Ist der Geschmackssinn am Genuss beteiligt, steigt im Gehirn die Konzentration von Endorphinen, unseren Glück-auslösenden Botenstoffen.

Über den Sehsinn bekommen wir ungefähr 80% aller Informationen über unsere Umwelt geliefert. Die Augen sind nicht nur ein Wunderwerk der Natur, sondern eine tolle Ergänzung für unsere Genussfähigkeit. Nicht umsonst heißt es: die Augen essen mit.

Dann, wenn unsere Sinne aktiv werden und die Welt für einen Augenblick genussvoll anklopft, können wir uns daran erinnern, dass wir Glück, Vitalität, Lebendigkeit und Leichtigkeit nur an einem einzigen Ort finden können, nämlich in uns selbst. Diesen Ort vergessen wir oft.

Im Yoga widmen wir uns diesem Ort mit allen Sinnen. Wir stärken unsere Achtsamkeit durch das Herunterfahren der Gedanken, um die genussvollen Momente nicht zu verpassen bzw. üben wir Genuss als bewusste Entscheidung, um im Fluss des Lebens in Leichtigkeit schwimmen zu können, ohne in ihm zu ertrinken. Dann kommen wir entspannter, ausgeglichener und sorgenfreier durch den Alltag.

Tipp:

Wenn du dir das nächste Mal etwas besonders Köstliches gönnst, genieße mit allen Sinnen:

  • Genieße deine Köstlichkeit mit den Augen und der Nase
  • Höre genau hin, wenn du einen Bissen nimmst
  • Nimm alle Facetten des Geschmacks in deinem Mund wahr
  • Spüre den Bissen im Mund hin und her wandern
  • Feiere diesen Moment mit kindlicher Freude