Somatic Yoga ist zwar noch nicht lange in (fast) aller Munde, blickt aber auf eine lange Yogatradition zurück. Im Deutschen wird es mit „Somatischer Yoga“ übersetzt und will damit ausdrücken, dass durch eine bewusste Yogapraxis der feinstoffliche Körper zusammen mit dem Nervensystem gezielt angesprochen wird. Begriffe wie Neuroplastizität (Anpassungs- und Erweiterungsfähigkeit des Nervensystems) und Interozeptionsfähigkeit (Wahrnehmung von Signalen aus dem Körperinneren) spielen in den Stunden eine wichtige Rolle und machen deutlich, dass diese Form des Yoga auch die Psyche in die Praxis mit einbezieht. Als langjährige Yogakollegin freut sich Katharina Middendorf auf das spannende Interview mit Alexandra Kleinheinrich...
Katharina: Wo kommt Somatic Yoga eigentlich her? Man hört ja viele große Namen: Thomas Hanna, Moshé Feldenkrais, Tias Little… Du bist ja schon seit über zehn Jahre mit dem Ansatz unterwegs, kannst du uns da ein wenig „aufklären“?
Alexandra: Somatic Yoga ist keine Neuerfindung des Yoga, sondern eine kluge Ergänzung. Es ist eine Bewegungsform, oder auch Bewegungstherapie, die unser Gehirn lehrt die verschiedenen Muskeln und Gelenke optimal zu bewegen, so dass erst gar keine Verspannungen in den typischen Bereichen -Schulter/ Nacken, Rücken oder Hüfte entstehen, oder diese Verspannungen sich wieder lösen. Mit diesem Ansatz waren und sind Moshé Feldenkrais, Thomas Hanna, Bonnie Bainbridge Cohen und auch Tias Little unterwegs – bei dem ich in seinem somatischen Ansatz (SATYA) ausgebildet wurde.
Katharina: Warum hat dich genau dieser Yoga-Ansatz in seinen Bann gezogen und was ist aus deiner Sicht das Besondere, das kein anderer Yoga-Stil so abdeckt? Da du schon über 30 Jahre Yoga praktizierst und u.a. Forrest® Yogalehrerin und Vinyasa Yogalehrerin bist, kannst du das sicher sehr gut überblicken.
Alexandra: Schon meine erste Somatic Lehrerin – Mary Mc Dermott - hat mich vor über zehn Jahren als Gastdozentin bei Spirit Yoga mit ihrem Unterricht in den Bann gezogen. Wie durch feine, kleine, kluge Bewegungen am Boden soviel gelöst und bewegt werden konnte, war für mich ein echter „eye opener“. Zumal ich es gewohnt war kraftvoll zu praktizieren und zu unterrichten – Asthanga, Power Vinyasa, Forrest Yoga – hat mich diese feine Art mit dem Körper zu arbeiten von Anfang an fasziniert. Weniger kann wirklich mehr sein! Schon nach den ersten Stunden war meine Aufmerksamkeit erhöht, alles schmeckte, roch, fühlte sich anders an und ich schlief sofort besser. Nach der Geburt meines zweiten Kindes hatte ich dann eine schwere Operation und zeitgleich das große Glück, dass Mary Mc Dermott bei uns einzog. Sie unterrichtete mich täglich und stellte mich mit Somatic Yoga wieder auf die Beine. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, ich wollte Somatic Yoga von Grund auf lernen um es selbst an Andere weitergeben zu können.
Katharina: Das Interview heißt ja: „Was Somatic Yoga für dich tun kann.“ Welche 3 Top Gründe fallen dir spontan ein, warum es eine gute Idee ist, Somatic Yoga auszuprobieren?
Alexandra: 1) weil es mutig ist, in einer schnelllebigen Zeit langsam zu werden, 2) weil es gleich nach der ersten Stunde wirkt, 3) weil es deine Sinne schärft
Das hier sage ich immer den Schüler*innen, die mich fragen, was Somatic Yoga für sie tun kann: Somatic Yoga packt deine Verspannungen an der Wurzel. Durch kleine, feine Bewegungen am Boden können sich tiefliegende Verspannungen und Blockaden lösen. Es ist besonders geeignet wenn du erschöpft und gestresst bist. Somatische Übungen, bringen deine Energie wieder zum Fließen, schulen deine Aufmerksamkeit und sind mit jedem Yoga Stil kombinierbar. Mit Somatic Yoga lernst du deinem Körper zuzuhören. Sensing, Feeling ... and Action!
Katharina: Wie würdest du eine klassische Somatic Yoga Stunde beschreiben? Was passiert da (nicht) und womit kann man es vielleicht vergleichen?
Alexandra: Somatic Yoga kann man sich in Teilen wie eine Art Yin Yoga in Bewegung, oder eine Vinyasa Klasse am Boden vorstellen. Gleich zu Beginn wird im Liegen in den Körper gespürt (Bodyscan) und auch zwischen den somatischen Übungen werden die Empfindungen beobachtet. Nach einem einleitenden, somatischen Anteil hat (fast) jede Somatic Yoga Klasse einen Asana Part, der mal kraftvoll, mal restorativ ausfallen kann. Ich persönlich mag es immer auch klassische Sonnengrüße in die Abläufe einzubauen.
Katharina: Ist Somatic Yoga für jede(n) geeignet oder würdest du sagen, dass es wichtige psychische oder physische Kontraindikationen gibt?
Alexandra: Prinzipiell würde ich sagen, jede/r Yogainteressierte sollte einmal Somatic Yoga ausprobieren, da es eine Erweiterung der üblichen Praxis ist. Von Somatic Yoga profitiert ein Yogaprofi genauso wie eine AnfängerIn. Eine SeniorIn genauso wie ein junger Mensch. Ein in Kraft und Saft stehender Yogini, genauso wie eine erschöpft/e SchreibtischtäterIn. Auch SchülerInnen mit Rücken – Halswirbelsäulen- Hüfteinschränkungen, und auch junge Mamas profitieren enorm. Lediglich bei akuten schweren Depressionen oder nicht bearbeiteten Traumata wäre ich zurückhaltend, da durch das In-Sich-Hineinspüren Prozesse in Gang kommen können, die eine Yogastunde alleine nicht auffangen kann.
Katharina: Letztes Jahr hast Du erstmalig auch Yogalehrende aller Stile in der Methode fortgebildet. Ich durfte dabei sein und war sehr begeistert, dass sich die Methode so gut in den eigenen Unterricht integrieren lässt. Im September geht dein Fortbildungsformat in die zweite Runde - was für Teilnehmende wünschst du dir da? Muss man Yogalehrer*in sein?
Alexandra: Ich bin sehr erfüllt und dankbar, dass die zweite Runde der Fortbildung schon jetzt fast gefüllt ist. Somatic Yoga scheint in unsere Zeit zu passen und viele Menschen abzuholen. Alle TeilnehmerInnen bislang waren/ sind Yogalehrende verschiedener Stile aus ganz Deutschland. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass Somatic Yoga für Psycho- und MassagatherapeutInnen interessant sein könnte. In jedem Teil der Fortbildung gibt es eine ausgiebige Musterklasse, die auch afgenommen werden darf - insofern sind auch SchülerInnen willkommen, die tiefer in die Praxis eintauchen möchten.
Katharina: Das Monatsmotto von nivata® ist gerade „Kosha“ (Körper) - welchen der fünf Koshas spricht Somatic Yoga am meisten an, warum und wie können Teilnehmende das merken?
Alexandra: Somatic Yoga spricht vor allem das Pranayama Kosha an, was man dadurch merkt, dass der Energiefluss- ader subtile, feinstoffliche Körper- angesprochen wird und in Bewegung kommt.
Katharina: Welche Abschlussfrage würdest du dir gerne stellen?
Alexandra: Was hat SY für dich persönlich getan?
Somatic Yoga ist für mich die Yogaform, die mich in jeder Lebenslage abholt, auffängt und mich daran erinnert, dass das Leben voller magischer Momente steckt.
“The world is full of magic things, patiently waiting for our senses to grow sharper.” - W.B. Yeats
Vielen lieben Dank Alexandra für das persönliche und professionelle Interview. Ich bin sicher, dass es einigen gezeigt hat, was Somatic Yoga ist und auch, warum du es so ins Herz geschlossen hast. Wer Somatic Yoga kennenlernen möchte, kann dies Montags 18 Uhr bei Alexandra und nivata Zehlendorf tun.