Abinivesha - die Angst vor dem Tod oder dem Leben mit seinen Veränderungen?

08.03.2021, Annett Schpeniuk


Quälgeist oder „Arschengel?“

Die Angst vor der vollkommenen Ungewissheit nennen die Yogis Abinivesha. Nun ist es aber eine tiefe Sehnsucht des Menschen, frei von Angst leben zu können. Die Angst, die allen anderen Ängsten anscheinend zugrunde liegt, ist die Angst vor dem Tod.

Der Tod ist eine Zumutung, die ultimative Kränkung … keine Worte, die ihn fassen könnten. Meist endet das körperliche Leben nicht würdevoll. Der Organismus bricht zusammen, mal mit über 90, manchmal vor der Geburt. Es passiert, immer wieder und am liebsten würde keiner hinschauen. Den Tod zu überwinden ist einer der ältesten Träume der Menschheit. Die Kulturgeschichten sind voller Erzählungen, in denen der Mensch versucht einen Ausweg zu finden, um nicht zu sterben. Es ist der Preis unserer Intelligenz, dass wir uns unseres eigenen Todes tatsächlich bewusst sind. Das Wissen um den eigenen Tod macht den Menschen aus. Die Gedanken an den Tod können mitunter unerträglich werden. Die Erkenntnis der persönlichen Endlichkeit ist eine der schlimmsten Einsichten für die Menschen. Um sie zu ertragen wurden Religionen erschaffen. Den Glauben an ein Jenseits haben vor allem hier in der westlichen Welt viele verloren. Gleichzeitig will man sich aber nicht damit abfinden, dass da gar nichts mehr nach dem Tod kommt. Hier ist eine Leerstelle entstanden, eine „transzendentale Obdachlosigkeit“ (Georg Lukacs). Nur für wenige kann Yoga diese Lücke schließen, aber Yoga hilft, mit dem Wissen um unsere körperliche Endlichkeit, leichter leben zu können und in Weitsicht zu wandeln.

Im Alltag quälen uns nicht unbedingt permanent die Ängste um den endgültigen Tod, sondern eher die kleinen Tode hervorgerufen durch Zweifel, Panik und Ungewissheit vor einer vagen Zukunft.

Aus Sommer wird Herbst wird Winter. Aus Tag wird Nacht. Aus Anfang wird Ende. Aus Liebe wird Unzufriedenheit („Das läuft doch alles schon lange schief, am besten wir trennen uns“), aus dem Job entsteht Stress und die geliebte Familie wird zur Belastung und im Prinzip haben wir doch nur Angst vor dem Endgültigen, dem Unabwendbaren, der Veränderung.

Für den Urzeitmensch bedeutete jede Art der Veränderung, selbst ein Wetterumschwung, oft Lebensgefahr. Das Gehirn versetzte die Menschen in Angst und Schock, zusätzliches Adrenalin versorgte den Körper mit der notwendigen Energie, um die anstehende Veränderung zu meistern. Tja, und bei uns „Neuzeit – Menschen“ klingelt die Alarmanlage fröhlich weiter. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass heute Veränderung nicht gleich Lebensgefahr bedeutet. Veränderung bedarf vor allem Lernprozesse, die oft genug zu anstrengend erscheinen, worauf das Hirn keinen Bock hat. Und so bleiben wir meist lieber in unserer Komfortzone, hier kennen wir uns aus … und „leiden“ weiter.

Selbst auf der Yogamatte treiben die Ängste ihr Unwesen („nun übe ich schon so lange Yoga, kann immer noch nicht die Krähe und komme nicht vernünftig in die Vorbeuge, da kann ich es doch gleich ganz lassen“). So weit, so „leidvoll“. Was tun? Auf der Matte können wir im kleinen Rahmen üben uns den Ängsten abseits der Matte, zu stellen. Wir haben Zeit uns diese Ängste mit liebevollem Blick anzuschauen, um in Klarheit und Ruhe zu entscheiden, was der nächste sinnvolle Schritt sein könnte. Wir können uns selbst an die Hand nehmen und auch noch selbst die Richtung bestimmen.

Mit Pranayama (Atemübungen) und Meditation lernen wir uns von diesen diffusen Ängsten nicht mehr so beherrschen zu lassen und vielleicht sogar ganz zu befreien.

Ziemlich entspannt können wir die Annahme, dass geboren werden heißt, eine Welt zu betreten, die man lebend nicht verlassen wird, akzeptieren. Denn erst durch den Tod bekommt das Leben eine Bedeutung, Entscheidungen ein Gewicht. Ein Augenblick ist wertvoll, weil er endet. Unendlichkeit, egal in welchem Kontext, wäre auch nur der ewige Terror der Gegenwart. Wenn es gut läuft, können wir uns so durch das Leben bewegen, als seien die Dinge, die unser Leben prägen eine Chance statt einer Last.

Tipp, der schnell gegen Angst hilft:

Schicke deinen Atem ganz bewusst in den Bauch, am Besten du brummst dabei wie ein Bär, so dass du das Brummen im Unterbauch als sanftes Vibrieren spüren kannst. Wenn dir das schwer fällt, lege beide Hände auf Höhe des Nabels zur Unterstützung dorthin. Das ist in Angst-Momenten gar nicht leicht, aber mit etwas Konzentration, bekommst du das sicher hin. Flattern die Angst-Gedanken weiter, beginne die Länge deiner Atemphasen zu zählen: Ein, 2, 3, 4, 5, Aus 2, 3, 4, 5 ......

... bye, bye Angst

 

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